Warschau 1993

In Warschau erzählt jeder einzelne Stein vom Kampf ums Überleben, vom Mut zur Wiedergeburt, von dem Wunsch, Erinnerungen zu bewahren. Warschau ist starrsinnig und rebellisch. Diese Haltung führte dazu, dass es immer wieder unterdrückt wurde von den Schweden ebenso wie von den Zaristen, Nazis und Sowjets-, seit König Sigismund III. Wasa 1596 beschloss, die Residenz der Könige von der Hauptstadt Krakau nach Warschau zu verlegen. Das Symbol der Stadt ist eine kriegerische Meerjungfrau mit Schild und Säbel. Dies geht auf eine Legende zurück, nach der diese Meeresamazone einem Fischer erschien und ihm prophezeite, dass genau an dieser Stelle, einmal eine unzerstörbare Stadt stehen würde. Und sie hatte Recht. Obwohl 85 Prozent von Warschaus Gebäuden im Zweiten Weltkrieg zerstört und die meisten seiner Einwohner getötet oder in Konzentrationslager deportiert wurden oder einfach aus der Stadt geflohen waren, erhob sich Warschau wie Phönix aus der Asche. Heute ist es die Hauptstadt eines Landes, das der Europäischen Union angehört und wohlhabender ist denn je.

Die Weichsel teilt die Stadt in zwei Teile. Die meisten historischen Monumente liegen auf der linken Seite des Flusses. Kritiker behaupten, Stare Miasto – die Altstadt mit ihrem Marktplatz Rynek – sei eine Fälschung, denn sie wurde neu aufgebaut. Allerdings muss man anerkennen, dass die alten Häuser heute ihrem ursprünglichen Aussehen viel näher sind, als zu der Zeit ihrer Bombardierung. Bei der Gestaltung der Fassaden orientierte man sich an 22 Ansichten, die der venezianische Künstler Bernardo
Bellotto (,,Canaletto“) Mitte des 18. Jh. von der Altstadt Warschaus gemalt hatte. Zwischen 1971 und 1984 rekonstruierte die Stadt
außerdem das Königsschloss der Stadt (Zamek Królewski), sowie den ältesten Sakralbau Warschaus, die gotische Katedra Sw. Jana.
An das Warschauer Ghetto dagegen erinnern heute nur noch drei Mauerabschnitte und drei Denkmäler.

In Warschau leben zur Zeit etwa 1,6 Millionen Menschen, die eine intensive urbane Entwicklung nötig machten, wobei jedoch
stets auf ausreichend Grünflächen geachtet wurde. Daneben gibt es viele historische Parks, wie den Wilanów, der einen barocken Palast umgibt, oder den Lazienki Park mit einem Denkmal des Musikers Frédéric Chopin, der dreißig Jahre in Warschau lebte.
Das schönste der neu errichteten städtischen Gebäude ist direkt an den botanischen Garten angebaut: die Biblioteka Uniwersytecka
(2000). Besonders sensationell sind ihre hängenden Gärten, zu denen man über eine spektakuläre Treppe gelangt.

Die neuen Hochhäuser, wie der Trade Tower und das Finanzcenter, sind dagegen weniger Aufsehen erregend. Sie agieren als zum Palac Kultury i Nauki, dem Palast für Kultur und Wissenschaft. Dieser wurde 1954 als Geschenk“ Stalins errichtet und ist mit 231 Metern das höchste Gebäude Polens. Die Warschauer sagen, vom Kulturpalast aus habe man den schönsten Blick, denn dies sei der einzige Ort, von dem aus man dieses Bauwerk nicht sehen kann.