Oma Gina 80


















Liebe Oma Gina, liebe Festgäste,
in unserem Leben legen wir zu Fuß durchschnittlich 22.000 Kilometer zurück. Wir küssen ca. zwei Wochen lang! Und wir verbringen 3 ½ Jahre lang mit Essen und zwölf Jahre lang mit reden. Das ist die durchschnittliche Bilanz eines Menschen mit 80 Jahren. Wenn man alle wesentlichen Dinge nennen wollte, könnte man noch das Schlafen nennen, was aber nicht so interessant ist, es sei denn es ist mit Störungen des wie auch immer gearteten Mitschläfers verbunden. (Als meine Aufzählung der wesentlichen Aktivitäten eines Lebens noch bei Reden endete, erlaubte sich Deine Enkelin Angela die Frage, ob Schnarchen als reden gilt)
Dein besonderer Geburtstag war mir Anlaß genug, diesen beeindruckenden Lebensbogen am Beispiel der 4 Hauptaktivitäten einmal etwas näher zu beleuchten:
22000 Kilometer unterwegs sein. Auf einem Weg, den keiner von uns im Voraus kennt: grüne Aue und frisches Wasser, oder finsteres Tal und die Feinde im Genick. Heute können wir auf vieles zurückschauen.
Machen wir mal einen Sprung dahin, wo alles begann. Der Chronist vermerkt für das Jahr 1924: Am Sonntag, 13.4. wurdest Du als ältestes Kind der sittenstrengen Elisabeth Wiese und ihres für Männer der damaligen Zeit eher untypisch sanftmütigen Ehemanns Paul im Hochsauerland geboren. (Auf meinen Opa Paul werde ich im Laufe dieses Tages noch auf besondere Weise zurückkommen, ihm zu Ehren werde ich etwas tun, was in genau dieser Gaststätte vor mindesten 40 Jahren er getan hat, ich werde nämliche eine Zigarre rauchen und, was mir deutlich schwerer fällt, einen Doppelwachholder trinken)
Deine Eltern gaben Dir den Namen Regina. Auf den zweiten Namen Josefine möchte ich nicht eingehen, da ich ja bekanntermaßen ein Heiligenproblem habe, immerhin habe ich es im Internet versucht, dort gibt es eine Homepage der Erzdiözese Köln mit dem bezeichnenden Namen www.Heilige.de , dort waren aber mindestens 8 Josefs aufgezählt, dann habe ich mich lieber auf Regina konzentriert. Regina, die Schutzpatronin von Burgund (Bourgogne), was mir schon wegen des guten Weins sehr sympathisch ist, wurde Ende des 3. Jhdts in Alesia (heute Alise-Ste-Reine) in Gallien geboren. Sie war das Kind heidnischer Eltern, verlor sehr früh die Mutter und wurde zur Erziehung einer Amme übergeben. Diese erzog das Mädchen im christlichen Glauben. Da der Vater als römischer Staatsbeamter das Christentum ablehnte, verstieß er die Tochter, die sich nun als Schafhirtin ihren Lebens-unterhalt verdienen musste. Während einer Christenverfolgung um das Jahr 300 wurde die 15-jährige angezeigt und starb, da sie sich weigerte, Christus zu verleugnen, unter der Folter. Hoffentlich ist Mel Gibson nicht irgenwo versteckt im Raum, sonst hat seinen nächsten Filmstoff.
Über die Gründe Deiner Eltern für diese Namenswahl kann ich nur spekulieren, auf jeden Fall heißt Regina übersetzt Königin und das sind doch schon einmal gute Lebensstartbedingungen, wenn die Eltern ihr erstes Kind so einschätzen. R. ist außerdem die
Patronin der Zimmerleute; (gegen Krätze, Räude und Geschlechtskrankheiten)
Ein weiteres Detail könnte für einige hier im Raum interessant sein: Das dem Namen zugeordnete
Attribut: ist die Taube und niemand kann eine Taube besser nachmachen, als unsere Oma.
Und was Deinen Geburtsmonat anbelangt: Lateinisch: Aprilis
Herkunft: Lateinisch „aperire“ = öffnen; auf Knospen und Blüten
bezogen
Altdeutsch: Ostarmanoth
15.-18. Jhdt.: Ostermonat, April
Magisch: Ostara
Aberglaube: Monats-Glücksstein: Saphir
Die Familie Wiese bekam dann noch 5 weitere Kinder, was für die damalige Zeit noch nicht einmal besonders viel war. Es gab in Elleringhausen auch Familien mit 12 Kindern.
Aus Deiner Schulzeit ist mir aus Erzählungen in Erinnerung geblieben, daß Du – für heutige Zeiten ebenfalls kaum vorstellbar – die ganze Schulzeit in einem Klassenzimmer verbracht hast, es gab für alle Klassen nur eines und Du mußt eine so gute Schülerin gewesen sein, daß Du gegen Ende der Schulzeit zur Unterstützung des Lehrers zur Hilfslehrerin ernannt wurdest. Das war dann sozusagen Dein erster Beruf. Ich möchte Dich anläßlich der heutigen Feier ein wenig befördern, denn die heute jungen Frauen können sicher nachvollziehen, daß es nicht gerade leicht war, wenn man es früher für Mädchen nicht als erforderlich ansah, ihnen eine Berufsausbildung zu ermöglichen.
Hilfsmutter warst Du ja sowieso schon, daß ist aber in den wenigen Familien, die heute auch noch mehrere Kinder haben, immer noch so, daß dem ältesten Kind hier eine besondere Verantwortung zukommt.
Kommen wir zur zweiten aufzählungswerten Lebensaktivität, dem Küssen: Dies war früher nur im Verborgenen zulässig und wenn es nach Deiner Mutter gegangen wäre, vermutlich auch nur während der Ehe, was ich aber nicht glaube, daß es so war. Dennoch überspringe ich den vorehelichen Abschnitt, mangels genauer Kenntnisse, ich habe aber den leisen Verdacht, es könnten mehr als 14 Tage gewesen sein.
Am 17. Mai 1950 stellte ein besonders wichtiges Ereignis die Weichen für Dein weiteres Leben. Du heiratetest Deinen Willi, mein Vater und es folgte der Umzug in die Großstadt. Das war ein guter Entschluß, denn sonst wären heute mindestens 8 Plätze frei. Es ist eine bemerkenswerte Lebensleistung, daß Du in mir als Einzelkind den Wunsch nach einer größeren Familie wach gehalten hast, und wir haben für den heutigen Tag eine Punktlandung hingebracht, zusammen mit den jeweiligen Partnerinnen und Partnern wurde aus dem einen Kind eine neue Familie mit jetzt 8 Mitgliedern, passend für jedes Lebensjahrzehnt eines. Das versüßt Dir hoffentlich auch die Enttäuschung darüber, daß Du ja selber auch gerne mehr als ein Kind gehabt hättest, bewundert habe ich aber immer, wie Du das mit Humor weggesteckt hast, die Insider kennen die Geschichte mit den kleingestorbenen Kindern.
In der heutigen Zeit ist übrigens auch schon eine Familie mit 3 Kindern eine große. Ich erzähle an dieser Stelle immer die Anekdote, als wir mit meinen Schwiegereltern wie des öfteren am Wochenende eine Wirtschaft zum Vespern besucht haben, und als wir einer nach dem anderen in die Wirtschaft einmarschiert sind, der Wirt sagte: Er hätte gar nicht gewußt, daß heute noch ein Bus kommt.
Damit sind wir beim Dritten, dem Essen und Trinken. Das ist in der Familie Middel/Wiese sicher nie zu kurz gekommen. Legendär die Würste und Schinken meiner Großmutter. Insofern bezweifle ich auch hier den statistisch ermittelten Wert von 3 ½ Jahren. Aber nicht nur in Elleringhausen gab es gutes Essen, Du hast zwar immer erst das so gut schmeckende frische Brot rausgerückt, wenn das alte aufgegessen war und dann war leider das neue auch schon wieder alt, ansonsten hast Du es am leiblichen Wohl nie fehlen lassen und immer ein sehr offenes Haus geführt, in der Distanz zur damaligen Zeit ist es mir in der Erinnerung so, als ob es ein permanentes Aneinandereihen von Festen war und das ist auch gut so, denn der Mensch lebt von Beziehungen und die sind nirgends so schön zu pflegen, als beim Essen und Trinken. Deine Qualitäten sind immerhin so bemerkenswert, daß Du Meisterhausfrau werden solltest, Du hattest dann aber keine Zeit oder Lust auf die Kurse, deshalb ernenne ich Dich heute zur Meisterhausfrau ehrenhalber.
Beim Essen und Trinken hast Du aber nicht nur an Freunde und Verwandte gedacht, eine Laudation zu Deinem 80. Geburtstag wäre unvollständig, wenn ich die Geschichte von den Wurstzipfeln nicht erzählen würde. Die hast Du für die Bahnhofsmission immer „organisiert“, eine weitere Schlüsselqualifikation die Dir eigen ist, die des „Organisierens“. Um hier nicht weitere Einzelberufsbezeichnungn nennen zu müssen, möchte ich – übrigens auch für alle sog. nur Hausfrauen – eine Lanze brechen und an eine aktuelle Werbung anknüpfen, die gut ausdrückt, was eine Hausfrau und Mutter eigentlich leistet, in dem Werbespot wird bei einem gesellschaftlichen Anlaß eine Frau gefragt wird, was sie denn für einen Beruf habe, da antwortet sie: Ich bin Managerin eines gut geführten Familienunternehmens.
Also willkommen im Club der Managerinnen und Manager.
Außerdem hast Du Dich ja fast lebenslang stark sozial engagiert, vor allem bei der Bahnhofsmission und das hat auch mich sehr beeinflußt. Ich glaube kaum, daß ich beruflich bei der Diakonie gelandet wäre, wenn Du mir das Eintreten für die Schwachen und Bedürftigen nicht vorgelebt hättest.
Für das alles hast Du ja bereits eine Ehrung erfahren, die ich nicht toppen kann, denn ich bin nicht der Bundespräsident, der Dir vor einigen Jahren das Bundesverdienstkreuz verliehen hat.
Aber im Geschenk können wir den Dank, auch für das schöne Fest heute, ausdrücken: 80 = 8 Jahrzehnte, Wunsch flüchtige WG 8 Flaschen Sekt
Kommen wir zum 4. und letzten: Dem Reden. Vielleicht hat es auch hier bei Dir eine Übererfüllung des Solls von zwölf Jahren gegeben. Gott sei Dank haben wir ja lange unsere Telefonrechnungen nicht bezahlen müssen. Das wurde zeitweise auch von auswärtigen Familienmitgliedern ausgenutzt, allerdings wurden solche Telefone wohl von der Post überwacht, denn ein solches Gespräch soll einmal rüde mit dem Zwischenruf unterbrochen worden sein: Sauerländer, geh aus der Leitung.
Womit ich bei Deiner eigentlichen Heimat bin, dem Sitz auch des legendären Schwagervereins. Ich komme mir nun langsam als Feminist vor, wenn ich mir heute die Frage erlaube, warum gab es eigentlich keinen Schwägerinnenverein?
Übertroffen wurde dieser exclusive Club allerdings von den nicht minder berühmten Vettern- und Cousinentreffen, angesichts der Gebärfreudigkeit des Hochsauerlandes war es zu besten Zeiten notwendig, wenn schon nicht die große aber fast die kleine Westfalenhalle zu mieten.
Nicht zu vergessen, der Kegelclub.
Ich mache jetzt einen großen Sprung in die Gegenwart. Heute leben wir in der sog. dot.com Gesellschaft, Arbeit findet in global vernetzten Strukturen statt: Virtual Communities ersetzen zunehmend Beziehungen in Fleisch und Blut.
Über die Hälfte der Berufstätigen arbeitet heute in den sog. TIME – Branchen = Telekommunikation, IT, Medien, Entertainment arbeiteten
14 % 1907, 18 % 1950, 55 % 2000.
Wir acht spiegeln das exakt wieder. Wenn ich meine berufliche Tätigkeit als Finanzvorstand des DW primär diesen Bereichen zuordne, Kerstin, meine Schwiegertochter im Controlling des Weltkonzerns DaimlerChrysler auch ohne Informationstechnologie aufgeschmissen wäre, Christian, unser Sohn, mit der Berufsbezeichnung Senior Consultant durch die Welt reist, um großen Firmen das Change Management beizubringen und Achim, der Freund unserer jüngsten Tochter Angela gerade Diplom-Medieninformatiker geworden ist, wir noch das extra für die Teleheimarbeit meiner Frau Sigrid angeschaffte W-LAN mit 5 % hinzurechnen, sind wir mit genau 55 % in dieser neuen Welt, ob Ihr davon viel verstanden habt, weiß ich nicht, aber Ihr wißt jetzt jedenfalls, was wir so machen.
Natürlich bleibe ich die restlichen 45 % nicht schuldig. Da muß Deine Hilfslehrertätigkeit abgefärbt haben, Christian, Ankes Freund ist Hauptschullehrer, Anke ist Erzieherin und inzwischen stellvertretende Kindergartenleiterin und hat die meisten Schuhe in der Familie und Angela studiert Pädagogik mit dem Ziel Grundschullehrerin.
Unser aller Cheffin ist meine Frau Sigrid, als Managerin eines gut geführten mittelständigen Familienunternehmens.
Das war ein großer Abriss Deines bisherigen Lebens und auch für Dich ist das sicher Grund zum Danken. Am besten ausgedrückt finde ich das in einem wohl auch ökumenischen Gesangbuchlied
Bis hierher hat mich Gott gebracht / durch seine große Güte, / bis hierher hat er Tag und Nacht / bewahrt Herz und Gemüte, / bis hierher hat er mich geleit‘, / bis hierher hat er mich erfreut, / bis hierher mir geholfen.
2. Hab Lob und Ehr, hab Preis und Dank / für die bisher’ge Treue, / die du, o Gott, mir lebenslang / bewiesen täglich neue. / In mein Gedächtnis schreib ich an: / der Herr hat Großes mir getan, / bis hierher mir geholfen.
Am Dienstag bist Du 80 Jahre geworden, die Bibel sagt: Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist’s Mühe und Arbeit gewesen (Psalm 90,10)
und nachdem es Dir in diesem Alter verhältnismäßig gut geht, ist das wirklich Grund zum Dank und zum Feiern.
Und was die Bibel nicht sagt, es gibt auch durchaus noch eine nennenswerte Zukunft, die Statistiker beziffern für 80-jährige die mittlere fernere Lebenserwartung auf 8,5 Jahre. Die Chancen stehen also gut, daß wir uns auch noch zum 90. wieder sehen.
3. Hilf fernerweit, mein treuster Hort, / hilf mir zu allen Stunden. / Hilf mir an all und jedem Ort, / hilf mir durch Jesu Wunden. / Damit sag ich bis in den Tod: / durch Christi Blut hilft mir mein Gott; / er hilft, wie er geholfen.
Nochmals herzliche Glückwünsche und Dank für die heutige Einladung.