Paris 2008

Um 250 v.Chr. gründete der Stamm der Parisii in einer sumpfigen und unwirtlichen Gegend eine bescheidene keltische Siedlung. In ersten schriftlichen Aufzeichnungen wird sie Lutetia genannt und als Hauptstadt der von Julius Caesar eroberten Provinz Gallien bezeichnet. Die Geschichte der Stadt verlief wechselhaft, bis sie im 12. Jahrhundert zu einem Zentrum der gotischen Architektur avancierte, mit Meisterwerken wie der Kathedrale von Nôtre-Dame oder der Sainte Chapelle, die noch immer das Bild der Île de la Cité, des historischen und romantischen Kerns der Stadt, prägen. Als Paris jedoch in der Mitte des 13. Jahrhunderts durch die in Europa wütende Pest und den nicht enden wollenden Krieg mit England geschwächt wurde, fiel die Stadt wieder in Bedeutungslosigkeit zurück.

Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts war das politische Klima im zerstörten Königreich Frankreich von Instabilität und internem Zerfall geprägt. Erst der von Franz I. errichtete prächtige Renaissance-Palast konnte Paris zu neuem Glanz verhelfen. Es brauchte 3 Jahrhunderte, sieben verschiedene Herrscher und ein Heer von Architekten (darunter Gian Lorenzo Bernini, dessen Pläne von Louis XIV. abgelehnt wurden), ehe der Louvre endlich fertig war. Trotzdem dürfte es wohl dieses frühe Konzept der Pracht gewesen sein, das Paris zur Ville Lumière, der Stadt des Lichts, gemacht hat.

In der Tat war das 17. Jahrhundert ein goldenes Zeitalter für Paris. Zu dieser Zeit ließ Louis XIV., der mit seinem Hof nach Versailles umgezogen war, das Hôtel des Invalides erbauen. Das Collège des Quatre Nations entstand auf Wunsch des mächtige Kardinals Mazarin. Im 18. Jahrhundert errichtete Louis XV. den Place de la Concorde und die École Militaire, mit dem militärischen Übungsplatz Champs de Mars, der nach dem Kriegsgott Mars benannt wurde, und sich bis zur Seine erstreckt. Das Herz der Stadt schlug jedoch im mittelalterlichen Paris, einem Labyrinth aus dunklen Gassen, was sich die Aufständischen bald zu Nutze machten. Im Jahr 1789 brach die Französischen Revolution aus. In den Straßen wurden Barrikaden errichtet und den königlichen Truppen aufgelauert. Die Zeit, die nun folgte, war von Chaos bestimmt. Schließlich erstickte die Volksrevolution. jedoch an ihrer eigenen Gewalt und machte den Weg frei für einen kleinen, autoritären Soldaten aus Korsika, der die Macht ergriff, sich selbst zum Kaiser krönte und frech die europäischen Monarchien herausforderte. In den Jahren zwischen seinem Aufstieg und seinem Fall ließ Napoleon Bonaparte die Église de la Madeleine erweitern, die Ufer der Seine durch steinerne Kais abstützen und nach der siegreichen Schlacht bei Austerlitz den Arc de Triomphe errichten.

Doch der Ruhm war nur von kurzer Dauer. Nachdem Frankreich die Schlacht bei Waterloo verloren hatte, brachen in Paris politische Unruhen aus, die mehrere Jahrzehnte anhielten. Mitte des 19. Jh., als die Bevölkerung der Stadt die Millionengrenze überschritten hatte, ließ sich Napoleons Neffe Louis Bonaparte zum Kaiser Napoleon III. ausrufen. Unter seiner Herrschaft wurde Paris durch die revolutionäre Stadtplanung von Baron Georges Haussmann zur Hauptstadt Europas. Der Architekt des Kaisers ließ breite Durchgangsstraßen anlegen, die strahlen förmig vom Place de l’Étoile wegführten. Er entwarf prachtvolle Boulevards mit neuen Märkten, wo die finanzielle, industrielle und kulturelle Bourgeoisie ihre luxuriösen Häuser errichten konnte. Die mittelalterliche Stadt wurde zur modernen Metropole und konnte nun gut gerüstet der industriellen Revolution und der Erfindung des Autos entgegensehen.

Dies war das Paris, in dem Charles Garnier die Fassade seines Opernhauses mit einem stilistischen Wirrwarr an Motiven verzierte. Dies war die monumentale Hauptstadt, die in den. Büchern von Proust lebendig wird und die am Ende des 19. Jahrhunderts sich selbst kühn mit einem äußerst gewagten Werk ein Denkmal setzte. Die Rede ist vom Eiffelturm, dem eisernen Riesen, dem Symbol für den Eintritt in die Moderne. Schon wenige Jahre später wurde Paris zur Wiege von Art Nouveau und Art Deco, zur Heimat des Kinos, das die Gebrüder Lumière erfanden, sowie eine Brutstätte für neue, künstlerische Strömungen. Von Picasso bis Braque, Modigliani, De Chirico, Kandinsky und Duchamp – alle bedeutenden Künstler dieser Zeit fanden in Paris Inspiration und fruchtbaren Boden für ihre Ideen. Dies ist wahrscheinlich der Grund, warum die französische Hauptstadt auch heute noch die schönsten Museen der Welt beherbergt, wie zum Beispiel den Louvre, das Musée d’Orsay, das Centre Pompidou und das Musée National de l’Art Moderne.

In unserer Zeit läutete Paris mit dem Bau des Centre Pompidou eine neue Ära ein. Das Bauwerk ist ein Entwurf von Richard Rogers und Renzo Piano und wurde 1977 fertiggestellt. Es gilt als Meilenstein der zeitgenössischen Architektur, indem es die Einteilung von Innen und Außen komplett auf den Kopf stellt und auf provokante Weise Ventilatoren und Aufzüge als dekorative Elemente einsetzt. Außerdem hat Paris in den letzten 25 Jahren seine Rolle als kulturelles Zentrum aufs Neue entdeckt. Es begann 1987 mit dem Umbau des Gare d’Orsay, der 1900 für die Weltausstellung erbaut worden war, in Ausstellungsräume für impressionistische Meisterwerke (nach einem Entwurf von Gae Aulenti). Unter der Regierung von François Mitterrand wurde die Pariser Pracht des späten 19. Jahrhunderts wiederbelebt. Und 1989 weihte Paris die heftig umstrittene Glaspyramide des sino-amerikanischen Architekten I.M. Pei ein, die seitdem den neuen Eingang in den Louvre markiert. Zur selben Zeit entstand der grandiose Arc de la Défense als Endpunkt einer gedachten Linie zwischen dem Louvre und dem Place de l’Étoile, die durch die Tuilerien und die Champs Elysées führt. 1989 erhielt Dominique Perrault den Auftrag, die Bibliothèque Nationale de France zu entwerfen. Leider erlebte Mitterrand die Fertigstellung dieses letzten der großartigen Bau werke, die er während seiner zwei Amtsperioden in Auftrag gegeben hatte, nicht mehr persönlich, denn er starb Anfang 1996. Die riesige Bibliothek, die nun seinen Namen trägt, wurde erst am 20. Dezember desselben Jahres eröffnet. Heute ist Paris eine scheinbar grenzenlose Metropole, die sich ihre Menschlichkeit bewahrt, indem sie zum Beispiel Sandstrände am Ufer der Seine aufschütten lässt, und zwar mitten auf der Schnellstraße. Und genau deshalb ist Paris eben Paris.